Von Stratford nach Visp

154 Sonette hat William Shakespeare seiner Nachwelt hinterlassen, und er hat sie damit in ein bis heute nicht nachlassendes Entzücken versetzt. Sein meisterlicher Umgang mit der englischen Spielart des Sonetts – drei Quartette plus ein Couplet, meist

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Martin Zingg ⋅ 154 Sonette hat William Shakespeare seiner Nachwelt hinterlassen, und er hat sie damit in ein bis heute nicht nachlassendes Entzücken versetzt. Sein meisterlicher Umgang mit der englischen Spielart des Sonetts – drei Quartette plus ein Couplet, meist eine aphoristische Sentenz, aus zwei Versen – erstaunt noch immer. Und bis in die Gegenwart hinein gibt er mit ihnen auch inhaltliche Rätsel auf.

Geheimnisvolle Adressaten

Die Sonette sind elegant und derb, anspielungsreich und lautmalerisch. Sie handeln von Schönheit, Freundschaft und Liebe, von der «himmlischen» und der «irdischen» Liebe, wovon die elisabethanische Epoche sehr genaue Vorstellungen hatte. Von den 154 Sonetten aber, darin liegt das Ungewöhnliche, befassen sich 126 mit der Beziehung eines lyrischen Ich zu einem schönen, hochgestellten Freund (und zu einem rivalisierenden Dichter), die übrigen gelten einer dunklen, betörenden Geliebten. Unklar ist, seit die Gedichte 1609 im Druck erschienen sind, an wen sie denn adressiert waren, wer dieser «schöne Jüngling» war und wer die «dunkle Dame». Die Anordnung der Gedichte im Sonettenkranz liefert in diesen Fragen keine Anhaltspunkte, und so ist es oft schwierig oder fast unmöglich, mit Bestimmtheit das Geschlecht der angesprochenen Personen zu nennen.

Fragen dieser Natur werden nicht einfacher, wenn die Sonette in andere Sprachen übersetzt werden, etwa ins Deutsche. Die Übersetzung bleibt nicht allein darum ein kühnes Unterfangen, weil der Grad ihrer Treue bekanntlich abnimmt im Masse ihrer wachsenden Schönheit. Neben der strengen Form ist auch das Verständnis der Gedichte eine grosse Herausforderung. Karl Kraus, Stefan George, Paul Celan, Christa Schuenke, Wolf Biermann, Hanno Helbling, Klaus Reichert: Sie alle (und sehr viele mehr) haben Sonette von Shakespeare ins Deutsche übertragen. Sie alle haben jedes Mal etwas Neues freigelegt, und wer die Übersetzungen nebeneinanderhält, kann deren Mühen ermessen – und zugleich das Vergnügen erahnen, das diese Arbeit offensichtlich bereitet.

«Eppis Hibschus»

Dieses Vergnügen ist auch den Übertragungen anzumerken, die der Basler Anglist Markus Marti in einer verdienstvollen Ausgabe vorlegt. Marti hat nicht nur alle 154 Sonette ins Deutsche übertragen, sondern diese auch noch ins Walliserdeutsche versetzt, in eine Visper Variante, die das Idiom seiner Kindheit und Jugend ist.

Walliserdeutsch? Zu den auffallenden Eigenheiten dieser Mundart zählt etwa die fehlende Vokalabschwächung, was die teilweise noch althochdeutsche Flexion erklärt. Diese wirkt sich auch auf die Laute aus, und damit auf die Reimmöglichkeiten. Hinzu kommt, dass das «Wallisertitsch» nur zwei Tempora kennt, Präsens und Perfekt, und in seiner schriftlichen Form nicht immer festgelegt ist. Wie die Sonette auf Walliserdeutsch klingen, ist nicht allein zu lesen, sondern auch zu hören, auf einer CD, die dem Band beiliegt. Das Ergebnis ist überraschend und in vielen Fällen gar faszinierend.

Sonett 65 etwa beklagt (wie viele andere Gedichte) die Vergänglichkeit der Liebe und endet mit einer Hoffnung: «That in black ink my love may still shine bright». Marti übersetzt das Sonett so: «Wenn scho ds Metall, dr Schtei und ds Meer und s Land, / wenn all das Schtarcha maal müäss unnergaa, / wiä het de eppis Hibschus no Beschtand, / wiä cha än zaarti Blüäma bliibu schtaa? // Was cha der siässi Ggruch vam Summer machu, / gägs än Armee va immer frischu Täg, / wenn d greeschtu Tschuggä scho tiänt zämuchrachu, / und d Iisu-Portä frisst der Roscht äwäg? // Enzezzli isch s, dass alls vo Grund ga müäss, / mu cha kei Schazz var Zit verschtekktä hä. / Wer löuft soo schnäll und häbt schi fescht am Füäss? / Wer cha schi hinnru, alles Hibsche z nä? // Viliicht gglingt miär das Wunner – was ich schriibu, / laat d Liäbi häll in schwaarzer Tinta bliibu.»

Wenn Markus Marti in seinem Nachwort bekennt, er habe bisweilen das Gefühl gehabt, mit walliserdeutschen Zeilen näher beim Shakespeareschen Original zu sein als mit seiner hochdeutschen Fassung, so kann man ihn gut verstehen. Er hat die Sonette in zwei sehr verschiedene Sprachen übersetzt, und er hat dabei nicht allein unterschiedliche Vokabulare, sondern auch weit auseinanderliegende metrische und rhythmische Vorgaben respektieren müssen. Sie stehen in diesem Band in einem produktiven Verhältnis zueinander.

Nah und fremd

Martis walliserdeutsche Fassungen machen auf reizvolle Weise etwas von jener Fremdheit kenntlich, welche «dum Willjam Scheikspiir schiini Sonetti» trotz den zahlreichen bereits geleisteten Übersetzungsversuchen bewahrt haben. Und gemeinsam mit den hochdeutschen Fassungen schärfen sie wiederum den Blick auf das englische Original. Den einzelnen Sonetten gibt der Übersetzer zudem hilfreiche Anmerkungen mit, die eine Lektüre des Originals nicht nur erleichtern, sondern auch vergnüglich machen. Aus ihnen ist leicht zu ersehen, mit welchen Schwierigkeiten die Übertragung zu kämpfen hat – und wie kunstvoll, wie geheimnisgesättigt diese Verse immer noch sind, auch vierhundert Jahre nach ihrem Erscheinen.

Markus Marti: William Shakespeares Sonette in deutscher und walliserdeutscher Übertragung (inkl. CD mit den Mundartsonetten). Edition Signathur, Dozwil 2010. 326 S., Fr. 33.–. www.signathur-schweiz.org, signathur@gmx.ch.